Stasi, Party, Funkengarde – Faschingsclub Schirgiswalde feiert 30. Geburtstag

Stasi, Party, Funkengarde – Faschingsclub Schirgiswalde feiert 30. GeburtstagSchirgiswalde, 11. Januar 2012. Wer kennt den noch? Schreibt ein DDR-Bürger an die Westoma "Liebe Oma, vielen Dank für die Ostereier und Handgranaten. Ich habe letztere lieber erstmal im Garten vergraben." Wenige Tage später schreibt er den nächsten Brief: "Liebe Oma, du kannst jetzt die Radieschensamen schicken, die Stasi hat den Garten umgegraben." Manche Leute, die in der DDR solche Witze erzählten, fühlten sich fast schon als Widerstandskämpfer. "Für den Granatenwitz, den ein Mitglied des Clubs am Rosenmontag zum Besten gegeben hatte, musste ich bei der Stasi in Bautzen antreten", erinnert sich Bernhard Geiler, von 1987 bis 2004 Präsident des Schirgiswalder Faschingsclubs. Der Granatenwitz hatte keine Konsequenzen für den Erzähler. Allerdings verzichtete er fortan darauf, den Witz zu erzählen. Allein sein Verweis, "dass jetzt die Stelle käme, an der er…" brachte allerdings den Saal zum tobenden Lachen.

Foto: Schirgiswalder Faschingsclub
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Fasching hat in Schirgiswalde Zukunft

Mit seinen 17 Jahren als SFC-Präsident hat Geiler den größten Teil des Vereinslebens gestaltet. "Wobei unsere Erfolge immer eine Gemeinschaftsleistung waren", betont der 59-Jährige. Das wird auch in der aktuellen Saison wieder der Fall sein. Geiler hat sich an diesem Abend mit seinem Nachfolger Torsten Paul sowie dem 76 Jahren alten Faschings-Urgestein Karl-Heinz Stolle im Landhotel "Thürmchen" getroffen. „Wir befinden uns bereits mitten in den Geburtstagsvorbereitungen für unser 30-jähriges Jubiläum“, sagt Torsten Paul, 35 Jahre alt und der aktuelle Präsident des SFC. Am 4. Februar 2012 wird kräftig gefeiert - in der Körsehalle, mit einem Jubiläumsprogramm von befreundeten Clubs und der legendären Live-Band "THE FIREBIRDS". Seit fast einem Jahr bereiten die Schirgiswalder Narren die Veranstaltung vor. "Die Truppe zusammenhalten, neue Tänze und Märsche für die Funken einstudieren, Künstler buchen, Clubs einladen, Halle mieten – eine faschingsfreie Zeit kennen wir nicht", schmunzelt der Präsident.

Neben den aktuellen Aufgaben ist das Jubiläum jedoch auch ein guter Anlass, um einmal wieder in Erinnerungen zu schwelgen und auch etwas wehmütig in der der Chronik des Vereins zu blättern, einem dicken A4-Ordner in dem die Geschichte des Vereins in säuberlich eingetüteten und abgehefteten Zeitungsbeiträgen und anderen Dokumenten aufbewahrt wird. Seit 1982 gibt es den Faschingsclub, wobei die Ursprünge des Schirgiswalder Faschings doch eher in den "Foasnachtimzigen", wie es mundartlich heißt, der Oberlausitz zu finden sind. Die waren eng an den Katholizismus gebunden, dessen vorösterliche Fastenzeit im Zuge der Reformation jedoch an Bedeutung verlor. Damit wurde auch den Faschingsbräuchen in den protestantischen Gegenden der Garaus gemacht. Nicht aber in Schirgiswalde, das bei der Übertragung der Oberlausitz beim Prager Frieden 1635 als Enklave der böhmischen Krone erhalten blieb und in der Zeit der Gegenreformation gezielt mit Katholiken bevölkert wurde. Damals waren die Faschingsumzüge zunächst wenig organisierte Kinderbräuche.

"Erst 1928 wurde die Idee vom Heimat- und Geschichtsverein sowie der Schulleitung wieder aufgegriffen", erzählt SFC-Gründungsmitglied Karl-Heinz Stolle. Die Umzüge gab es bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach dem Krieg wurde die Tradition wiederbelebt. Allerdings gab es 1959 den letzten großen Umzug, dann stellten die Gewerbetreibenden und Bürger von Schirgiswalde ihre Unterstützung ein. "Ursache waren die Kulturverantwortlichen vom Rat des Kreises, die eine antiwestliche Aussage des Umzugs einforderten", so Stolle. Die wollten die Schirgiswalder nicht, daher protestierten sie ohne großes Gewese ganz praktisch: Sie machten einfach nicht mehr mit. So blieb es bei den von der Schule und der Stadt organisierten Kinderumzügen am Faschingsdienstag.

Nachdem Wiederbelebungsversuche Ende der 60er Jahre ohne Erfolg blieben, brachten die beginnenden 80er Jahre eine gelockerte kulturpolitische Haltung im Bezirk Dresden sowie einige "Schrittmacher" aus Schirgiswalde den Fasching wieder in Fahrt. 1982 wurde ein Elferrat gebildet, ein Faschingsumzug organisiert und im November unter Leitung von Andreas Trepte ein Programm aufgeführt. Der weiterhin währende Versuch der Kulturverantwortlichen, provozierende Inhalte in Programm und Umzug zu unterbinden, führte in 80er Jahren zu dem, was Bernhard Geiler heute rückblickend einen "Tanz auf Messers Schneide" nennt: Die öffentliche Aufführung von auch kritischen Inhalten, die zwar sehr gut verpackt, aber dennoch für jeden offensichtlich waren. Die Programme "Reise um die Welt in 88 Minuten" oder "Fernsehen, wie wir es gern sehen" zeugen von dieser Zeit, in der auch die Organisation des Umzugs bei Materialknappheit eine Herausforderung darstellte. "Man musste mit sehr einfachen Mitteln zum Erfolg kommen", erinnert sich Geiler.

Erfolgreich meisterten die Schirgiswalder Narren auch den historischen Umschwung der Wendezeit, wenngleich die Saison 1990/1991 wegen des Golfkriegs fast vollständig ins Wasser fiel. Ganz unproblematisch war die Wiedervereinigung nicht, denn nicht nur die Zeiten hatten sich geändert, sondern auch die Menschen. Die hatten andere Interessen, wollten erst einmal die "Welt beschnarchen". Sie hatten auch andere Sorgen, etwa um den Arbeitsplatz, gar um die ganze Existenz. "Die Zeiten des feinsinnigen Wortes waren nach der Wende irgendwie vorbei", erinnert sich Geiler. Es war zwar noch nicht die Zeit der meist flachen Comedians, wie man sie heute kennt. Aber das Publikum brüllte vor Lachen, wenn eine Ulknudel im Bierzelt erzählte, er vermiete jetzt seinen Allerwertesten am Ostseestrand als Fahrradständer ("Am schlimmsten sind die Mopeds"). Irgendwie hatte sich etwas geändert, der Anspruch der Menschen war anders geworden. "Wir merkten das auch bei unseren Programmen, da war plötzlich eine große Unruhe, während früher aufmerksam zugehört wurde." Frustrierte Menschen wollten kein Verbalflorett, sie wollten Party.

Dennoch hat der SFC den Sprung in das neue Jahrtausend sehr gut gemeistert - Verflachung und Abwanderung zum Trotz. "Wir sind derzeit rund 70 Mitglieder, in der DDR-Zeit waren es um die 50", sagt Torsten Paul. Fasching gehöre in Schirgiswalde einfach dazu, auch die Mitgliedschaft im SFC. Die aktuellen Herausforderungen sind auch weniger personeller als finanzieller Natur. Paul: "Man kann sich gar nicht vorstellen, was Fasching so kostet." Allein eine kleine Funken-Uniform schlage mit rund 800 Euro zu Buche, von den actionreichen Programmen, um den hohen Erwartungen der Gäste zu entsprechen, ganz zu schweigen. "Ohne die vielen Sponsoren wäre das nicht möglich." Der Verein geht auch neue Wege, bringt sich bei zahlreichen Festen in der Stadt mit ein. "Wir sind ja nicht nur für Jux und Tollerei da, sondern für Gemeinschaft und um unsere Bräuche zu pflegen", betont der Präsident, der trotz finanzieller Herausforderungen und fehlendem Vereinsdomizil fest an die Zukunft des Faschings in Schirgiswalde glaubt: "Das gehört zu Schirgiswalde einfach dazu."

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  • Quelle: red | Foto: Schirgiswalder Faschingsclub
  • Erstellt am 11.01.2012 - 23:22Uhr | Zuletzt geändert am 05.05.2022 - 22:17Uhr
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