Bautzener Oberbürgermeister zum Abschlussbericht der Kohlekommission

Bautzener Oberbürgermeister zum Abschlussbericht der Kohlekommission Bautzen / Budyšin, 31. Januar 2019. Der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens hat sich zum Abschlussbericht der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (Kohlekommission) und den Projektvorschlägen zum Strukturwandel in der Region geäußert. Nachstehend veröffentlicht der Bautzner Anzeiger die entsprechende Mitteilung der Stadtverwaltung Bautzen vom 30. Januar 2019 (sinnwahrend redaktionell bearbeitet, Fotos und Bildunterschriften ergänzt).
Abbildungen: Der Tagebau Meuro bei Großräschen (Landkreis Senftenberg, Südbrandenburg) im Jahr 2005, inzwischen zunächst als Ilsesee, dann als Großräschener See geflutet

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Maßnahmen der Kohlekommission schnell umsetzen - Bekenntnis zur Lausitz

Maßnahmen der Kohlekommission schnell umsetzen - Bekenntnis zur Lausitz
Die inzwischen geflutete Grube verbindet ein ingeneurtechnisch interessanter (Bahn- und Straßenunterquerung in einem Tunnel) Kanal mit dem Sedlitzer See

2038 wird der Lausitz der arbeits- und wirtschaftsbestimmende Wasserhahn zugedreht. Die Kohlekommission möchte 2038 – also in nicht einmal 19 Jahren – aus der Kohleverstromung aussteigen. Fünf Jahre eher, als es das Revierkonzept der LEAG vorsieht. "Das Kohleausstiegsdatum ist ein Kompromiss und als solcher ist er zu akzeptieren. Es mussten zum einen der Klimaschutz und zum anderen die vielen von der Kohle abhängigen Arbeitsplätze gegeneinander abgewogen werden. Gleichzeitig bedeutet der Kohleausstieg aber ein hohes Risiko für die Region. Denn damit sind nicht nur massiv Arbeitsplätze bedroht, sondern eine ganze Region droht im Zeichen des Strukturwandels abgehängt zu werden", so Alexander Ahrens zu dem Abschlussbericht.

Schon vor Monaten forderte Ahrens einen Gesamtplan, der hilft, den Strukturwandel in der gesamten Lausitz verantwortlich zu bestreiten. Dieser liegt nun vor. Auf 336 Seiten schreibt die Kommission Projekte und Vorhaben nieder, die kurz-, mittel- und langfristig umgesetzt werden sollen. Ahrens: "Wichtige Projekte müssen dabei unabdingbar sofort angepackt werden. Dazu gehört die Elektrifizierung der Bahnstrecke Görlitz-Bautzen-Dresden bis 2022, der sechsspuriger Ausbau der A4 zwischen Dresden und Görlitz und der Wiederaufbau der Bahnstrecke Bautzen – Hoyerswerda. Vor allem für Bautzen, als Hauptstadt der Oberlausitz, ist es wichtig, auch neue Wege zu gehen: Die Ansiedelung eines lokalen IT-Institutes in Bautzen zur Förderung des Nachwuchses in der Region und Stärkung des Wirtschaftsstandortes Bautzen und der Ausbau der Studienakademie Bautzen mit Technologiecampus zu einer Teiluniversität gehören dazu."

Weiterhin muss sichergestellt werden, dass die von Kommunen und Kreisen geforderten zwei Milliarden Euro Investitionen jährlich in die Region Lausitz auf mindestens 20 Jahre gesichert werden. Dabei muss auch mehr Eigenverantwortung für den ländlichen Raum und Stärkung seiner Kompetenzen gewährleistet werden. Die Zentren im ländlichen Raum, wie die Städte des Oberzentralen Städteverbundes Bautzen – Görlitz – Hoyerswerda, müssen dabei besonders berücksichtigt werden. Schlussendlich kann auch die Europäische Kulturhauptstadtbewerbung (Anm. d. Red.: von Zittau) als Werbung für die Gesamtregion einen guten Aufschwung für die Lausitz bedeuten.

"In dem Endbericht stehen viele wichtige und gute Projekte. Jetzt ist es dringend notwendig, diese schnellstmöglich anzugehen. Bis 2038 sind es nur noch 19 Jahre. Nicht viel Zeit für eine so ambitionierte Liste", so Bautzens Oberbürgermeister abschließend.


Kommentar:

Selbstredend muss ein Oberbürgermeister die Interessen seiner Bürger und – gesegnet mit Weitblick – seiner Region im Auge haben und sich entsprechend positionieren. Gut gebrüllt, Herr Ahrens.

Zwei Facetten der Diskussion um den Kohleausstieg sollten noch näher in den Fokus gerückt werden. Einesteils geht es um das "Kohleausstiegsdatum ist ein Kompromiss", in den Medien auch als "Zugeständnis an die Braunkohlegegner" bezeichnet. Exakterweise muss dazu gesagt werden, dass niemand etwas gegen die Braunkohle als solche hat, sondern nur gegen die im Grunde primitive Technologie, diesen Rohstoff nicht nur klima-, sondern vor allem gesundheitsschädlich (beispielsweise durch enorme Quecksilber- und Bleiemissionen, siehe Kommentar zu diesem Beitrag) zu verbrennen, um eine Grundlast an elektrischem Strom zu gewährleisten, ob diese nun abgerufen wird oder nicht.

Wer nun auf die moderne Abgasreinigung der Kohlekraftewerke verweist, sollte die Forschungsergebnisse des Karlsruher Instituts für Technologie zur Kenntnis nehmen, wie man sie im Wissenschaftsmagazin scinexx nachlesen kann: Mit immer mehr "sauberen" Kraftwerken stieg die Ultrafeinstaubbelastung in vielen ländlichen Gegenden. Ultrafeinstaub liefert Kondensationskeine für Wolken und kann Stürme fördern, von der möglichen Mitverantwortung für weltweit Millionen Todesfälle ganz abgesehen. Wenn man der gesundheitsschädlichen Wirkung der Braunkohleverstromung noch hinzurechnet, dass hierzulande ein Viertel der deutschen Treibhausgase von den 30 größten Kohlekraftwerken ausgestoßen wird, zeigt sich, dass es weniger um "Kompromisse" oder "Zugeständnisse" geht als vielmehr ein schnellstmögliches "Schluss damit" – übrigens auch ein Schluss für die staatliche Subventionierung der Braunkohleverstromung (laut Heinrich-Böll-Stiftung seit 1950 mit mehr als 350 Milliarden Euro).

Das freilich hat enorme wirtschaftliche und damit gravierende soziale Konsequenzen für die unmittelbar und mittelbar von der Kohleverstromung abhängigen Arbeitnehmer, was Politiker dazu verleitet, aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen diese Beschäftigten als Argumentationsmasse zu verwenden. Vom Verlust gut bezahlter Arbeitsplätze ist die Rede, von der Sicherung alternativer Beschäftigung bereits vor dem Ende der Braunkohleverstromung – eine wichtiger Aspekt für die Kohlekommission.

Es geht also zum Zweiten um der wirtschaftlichen Wandel in den Braunkohlerevieren in Ost und West. Hier drohen sich die Fehler des Aufschwungs Ost zu wiederholen: Es soll die Geldpumpe eingeschaltet werden, um Infrastruktur auszubauen, sicher kommt es zu Investitionszuschüssen und Förderprogrammen, nicht zuletzt für Bildungsträger, getragen von der Hoffnung, irgendwelche Investoren werde das schon anlocken. Wohin das führt, kann man vielerorts nachvollziehen: In die Landschaft gezimmerte Industrie- und Gewerbegebiete, die sich die Natur langsam zurückholt, insofern sie nicht mit Solarzellen zugebuttert wurden.

Vielleicht sollte man in Bezug auf den Wirtschaftswandel in den beiden Lausitzen mal Berater aus China oder Südkorea anheuern, beides Länder, die bewiesen haben, dass man unter planerischen Gegebenheiten oder durch Initialzündungen wie bei heute erfolgreichen südkoreanischen Kozernen robuste Wirtschaftsstrukturen erzeugen kann. Das wäre zugleich eine Chance, im Osten das Zeitalter der verlängerten Werkbänke zu beenden.

Wenn der wirtschaftliche Wandel über Infrastruktur hinaus nicht konkret beschrieben wird, werden kleinste Erfolge bejubelt werden, der Arbeitsmarkt wird jedoch die Agonie der Neuzigerjahre erneut über sich ergehen lassen müssen: Arbeitspolitische Instrumente sind dann die Frühverrentung, das Parken in sogenannten Bildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen und finanzielle Zuschüsse für die Übersiedlung in prosperierende Gegenden. Letzteres ist so ungewöhnlich nicht: Der Mensch zieht der Arbeit hinterher, was viele Leute in der Lausitz bestätigen werden, wenn sie überlegen wie ihre Eltern oder Großeltern einst hier ankamen.

Ein weiterer Gedanke: Wer seinen Job bedroht sieht, sollte bereits jetzt die Initiative ergreifen und nach Alternativen suchen. Das nämlich braucht Zeit, oft Jahre, bis nicht nur eine Idee ausgereift ist, sondern sich auch die Chance zur Verwirklichung auftut.

Übrigens kann man an dieser Stelle auch stolz sein auf das demokratische Deutschland, in dem sich der Staat müht, den Strukturwandel abzufedern und sogar das überdurchschnittliche Lebensniveau der Beschäftigten aus Braunkohleförderung und -verstromung weitgehend zu erhalten,

meint Ihr Thomas Beier





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  • Quelle: red / Kommentar: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 31.01.2019 - 08:03Uhr | Zuletzt geändert am 31.01.2019 - 09:55Uhr
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