Wirtschaft im Wettbewerb um die besten Talente
Bautzen / Budyšin, 5. Dezember 2022. Von Thomas Beier. Heute bin ich auf Facebook zufällig auf eine dieser vor Sentimentalität triefenden "DDR"-Erinnerungsseiten geraten, Grundtenor: "Wir waren glücklich, nur wussten wir es nicht!" Es ist seltsam, dass die Sichtweisen auf das sowjetzonale Gebilde, das so gern ein bedeutsamer Staat auf der Weltbühne gewesen wäre, offenbar immer stärker polarisieren: Für die einen ist es – aus heutiger Sicht, wohlgemerkt – das sozialistische Arbeiterparadies, für die anderen der Unrechtsstaat, der auf falschen Überzeugungen, Mitläufertum, organisierter Verantwortungslosigkeit und mangels Austausch und Freiheit nicht zuletzt kultureller Verblödung beruhte. Nein, die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, denn wahr ist alles, was die "DDR" charakterisierte – von Umweltzerstörung bis zu Spitzenleistungen, wo sie niemand vermutete, etwa in der Formgestaltung.
Projekte wollen bei Suche nach Fachleuten und beim Nachwuchs helfen
Das sind Gedanken, die angesichts einer Pressemitteilung zum Thema berufliche Orientierung, die vor wenigen Tagen hereingetrudelt ist, aufsteigen. Während man früher vom "War of Talents" – dem Krieg der Talente um die besten Arbeitsstellen – sprach, steht heute der "War for Talents" – der Krieg der Arbeitgeber um die Talente – im Fokus.
Befeuert wird dieser Wettbewerb, an angenehmeres Wort als Krieg, um die Talente durch unterschiedliche Projekte. Erst in der vergangenen Woche haben die Industrie- und Handelskammer Dresden, die Handwerkskammer Dresden, die Agentur für Arbeit Bautzen sowie der Landkreis Görlitz und das Jobcenter des Landkreises eine Erklärung unterzeichnet, mit der sie sich zur Unterstützung der von der landkreiseigenen Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz mbH (ENO) organisierten Insider-Berufsorientierungsprojekte Insideratlas, Insidertreff (nächster Termin: 10. Juni 2023) und Online-Insider bekennen.
Derlei Aufwand spart man sich beim Lausitz Matrix e.V., der mit den Oberlausitzer Karrieretagen (nächster Termin: 23. und 24. September 2023) eine jährliche, überaus erfolgreiche Kontaktmesse für Arbeit, Ausbildung und Studium organisiert und außerdem handkuratierte und bis hin zur Wohnungssuche intelligent verknüpfte Karriereportale betreibt.
Ein wirkungsvoller Ansatz?
Auf einem leergefegten Fachkäftemarkt kann man freilich nach Mitarbeitern suchen wie das blinde Huhn nach dem Korn. Ein besserer Ansatz wäre, an den Schulen ein positives Bild von der regionalen Arbeitswelt zu vermitteln. Doch wer "auf Lehramt" – wie man das Studium für das Lehramt salopp bezeichnet – studiert, kann gewöhnlich schlecht für einen Beruf in der Wirtschaft begeistern. Im Gegenteil erfahren Schulkinder oftmals von den Vorteilen eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, bei dem existenzielle Risiken im Grunde ausgeschlossen sind. Im guten Einvernehmen mit Helikopter-Eltern werden Kinder vor vielen Erfahrungen bewahrt, aber das und das vermeintliche Totalversagen der Generation Z in der Arbeitswelt sind andere Themen.Gerade wenn es um verantwortliche Fachleute im technischen Bereich – heute sagt man MINT für die Welt der Technik und Naturwissenschaften – geht, lohnt der Rückblick auf "DDR"-Erfahrungen. Berufsorientierung gab es auch damals, dafür aber andere Wege in den Beruf. Einer davon: Die Berufsausbildung mit Abitur. Nachdem sich nach dem Ende der achten Klasse die Streber auf die Penne, damals Erweiterte Oberschule und heute Gymnasium genannt, verabschiedet hatten, konnten sich die Pädagogen auf die eigentlichen "Macher" konzentrieren.
Die besten Absolventen der zehnklassigen allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschulen hatten die Chance, an einer Betriebsberufsschule die Berufsausbildung mit Abitur absolvieren. Das bedeutete drei Jahre als Lehrling – sprich Arbeitnehmer – mit geringstmöglichem Urlaubsanspruch, in denen ein volles Abitur – allerdings ohne Biologie – und eine volle Berufsausbildung durchgezogen wurden. Die Bindung an den Betrieb wurde während des obligatorischen Wehrdienstes aufrechterhalten und schon vorher delegierte der Betrieb zum Studium. Für diese Studenten stand die Frage der im Osten damals üblichen eingeschränkten Arbeitsplatzwahl nach Studienende – drei Jahre arbeiten an einem vorgegebenen Arbeitsplatz – nicht, weil die Betriebsbindung geklärt war.
Und heute?
Ein solch kanalisierter Weg in den Beruf ist heute im Grunde nicht mehr denkbar, obgleich aus der Berufsausbildung mit Abitur viele später bedeutsame Techniker und Führungskräfte hervorgegangen sind. Sachsen allerdings bietet die Duale Berufsausbildung mit Abitur (DUBAS) in einigen beruflichen Schulzentren und Ausbildungsberufen an.Heute geht es darum, im “War for Talents” möglichst früh Kontakte zu High Potentials, also Schülern, Lehrlingen und Studenten mit großem Leistungspotential, aufzubauen und zu halten – eine Aufgabe, die für den typischen Mittelständler eine Nummer zu groß ist. Der War for Talents in der Personal Rekrutierung nutzt Personalvermittler, die sich wie ein Gummibändchen zwischen einem Arbeitgeber und einem Kandidaten verhalten: Der Kontakt darf nie abreißen, im Idealfall ist man regelmäßig im engen Austausch über vom Kandidaten anvisierte oder von der Personalberatung vorgeschlagene mögliche Karriereschritte.
So verstehen sich moderne Personalberater einesteils als bipolarer Scanner und andererseits als Entwicklungshelfer im Arbeitsmarkt: Sie behalten die Entwicklung von Arbeitnehmern und ihrer Fähigkeiten ebenso im Auge wie die Anforderungen der Arbeitgeber und versuchen, bei einer Stellenbesetzung beides möglichst gut zur Deckung zu bringen. Entwicklungshelfer werden Sie, wenn sie in die Rolle des Job-Coaches schlüpfen und Arbeitnehmern mögliche Entwicklungsrichtungen für die Karriere aufzeigen. Für Arbeitgeber hingegen sind sie der Sensor im Arbeitsmarkt, der Auskunft über die Möglichkeiten zur Besetzung einer Stelle – bei Neuansiedlungen auch von vielen Stellen – geben kann.
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- Quelle: Thomas Beier | Foto: Hans / Hans, Pixabay License
- Erstellt am 05.12.2022 - 13:47Uhr | Zuletzt geändert am 05.12.2022 - 14:35Uhr
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