Gravitation wider die Ebbe im Portemonnaie

Gravitation wider die Ebbe im PortemonnaieBautzen / Budyšin, 11. März 2022. Von Thomas Beier. Beste Berufsaussichten hat heutzutage, wer als Schüler in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gut dasteht und das als Basis für seine Berufsentscheidung nutzt, ganz egal, wohin die berufliche Entwicklung später führt. Hat das auch mit dem künftigen Einkommen zu tun?

Abb.: Die Erdanziehungskraft zu überwinden ist ein alter Menschheitstraum
Symbolfoto: Heiner Sollermann, Pixabay License
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Von technischer Bildung zehrt man lebenslang

In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder, dass Berufsberater Argumente ins Feld führen, die ein wenig an den Bedürfnissen der zu Beratenden vorbeigehen, weil gern auf die eigene Lebenserfahrung gesetzt wird. Die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich wird dadurch nicht gerade erleichtert und mancher wird gar in die Irre geführt. Vielmehr kommt es darauf an, frühzeitig die Begeisterung für Wissenschaft und Technik zu wecken und immer wieder neu zu befeuern. Scheinbare Selbstverständlichkeiten wie etwa die Gravitation werden so zu spannenden Zusammenhängen.

Grativation, das ist doch die Schwerkraft?

Irrtum! Unter der Schwerkraft versteht man nämlich neben der Gravitationskraft auch die Trägheit, die auf einen Körper wirkt. Unterschieden werden drei Trägheitskräfte: jene beim Beschleunigen und Abbremsen, die Zentrifugalkraft und die Corioliskraft. Die beiden erstgenannten kann man leicht im Auto ausprobieren: Entweder wird man in den Sitz gedrückt oder nur durch den Sicherheitsgurt daran gehindert, eine eventuell Flugbahn durch die Frontscheibe zu starten. Vorsicht mit der Fliehkraft beim Experimentieren in Kurven, denn Straßenbäume lassen sich unter Umständen nur schwer wieder aus der Karosserie entfernen.

Unbekannter ist die Dritte der Trägkeitskräfte, die Corioliskraft. Die kann man etwa auf der Drehscheibe in der Geheimen Welt von Turisede bei Görlitz ausprobieren. Wird diese sehr langsam gedreht und von Personen betreten, wird sie schneller, wenn sich diese in Richtung Mitte bewegen. Dadurch steigt die Fliehkraft, zu der sich – für die meisten unerwartet – die seitlich wirkende Corioliskraft gesellt. Dass sich schon bald niemand mehr auf der Platte halten kann, liegt nahe. Allerdings ist die kleine Anlage mit Vorsicht zu genießen, denn eine Bremse gibt es nicht.

Gravitation im Alltag

Mit der Gravitation hat schon jeder Bekanntschaft gemacht. Als eine der vier physikalischen Grundkräfte beschreibt sie die Anziehungskraft, die Körper aufgrund ihrer Masse aufeinander entwickeln. Zwar lässt sie mit dem Abstand nach, wirkt aber im Grunde unendlich weit und lässt sich anders als beispielsweise die elektromagnetische Kraft nicht abschirmen – leider, denn sonst könnte man von der Gravitation befreit einfach losfliegen. Losfliegen wäre übrigens eine Möglichkeit gewesen, einen wahrhaft seltenen Unfall zwischen einem Gabelstapler und einem Hubschrauber, der sich im Jahr 2009 in der Nähe von Bautzen ereignete, zu vermeiden.

Dass einen die Gravitation am Erdboden hält, darüber denkt im Alltag niemand nach, nur wenn unangenehme Graviationsfolgen auftreten, wird sich aufgeregt, etwa wenn Hinterlassenschaften von Vögeln oder wie aktuell in der Ukraine jene von Bombenflugzeugen vom Himmel fallen. Und wenn in der Küche wieder einmal Geschirr auf dem Boden zu Bruch geht, dann fragt sich mancher, ob denn die Gravitation heute größer ist als sonst.

Gravitation und Technik

Natürlich wird die Gravitation technisch genutzt. Ein schönes Beispiel liefert in Sachsen der mehr als 400 Jahre alte und noch immer betriebsfähige Frohnauer Hammer, zugleich ältestes Schmiedemuseum Deutschlands. Mir hat es der berühmte Hammerhansel (1921 – 2007) als Kind noch persönlich erklärt, wie die aus der Gravitation resultierende Energie des Wassers die großen Schmiedehämmer immer wieder erst anhebt, damit sie anschließend dank Gravitationskraft herniedersausen auf die Werkstücke aus glühendem Stahl.

Wie schon anhand des Hammers klar wird, ist in der Welt der Technik natürlich auch die Gegenbewegung zum Herunterfallen ebenso relevant. Beim Heben muss die aufgewendete Kraft größer sein als die Gravitationskraft, die auf den zu hebenden Körper wirkt – übrigens nicht nach unten, sondern in Richtung Erdmittelpunkt; dass wir den immer räumlich unter uns wahrnehmen, gehört zu den vielen Täuschungen, denen man unterliegt, wenn man sich nur innerhalb eines Systems bewegt.

Weil es also abhängig von der Masse des zu hebenden Gutes und manchmal zudem von seiner Form zu anstrengend werden kann, etwas hochzuheben, hat der Mensch allerlei Hilfsmittel ersonnen, Kräne, Aufzüge, Hebezeuge, Luftschiffe und Hubschrauber und im erweiterten Sinne sogar Flugzeuge und Raketen, womit wir wieder in der Welt der Technik angekommen wären. Natürlich braucht es für all das gut ausgebildete und begeisterte Techniker und Ingenieure, um ganz konkrete Produkte wie etwa praktische Minilifter für Umschlag- und Lagerprozesse zu entwickeln.

Irrtümer über Gravitation

In Dresden war das Internat der Medizinischen Berufsfachschule auf der Bodelschwinghstraße ursprünglich ein “Heim für gefallene Mädchen”. Gefallen heißt ja nicht nur, dass etwas dank Gravitation heruntergefallen ist oder an etwas Gefallen zu finden, sondern umschreibt auch eher unangenehme Wahrheiten wie umgebrachte Soldaten oder früher eben Mädchen, die – ob nun selbstverschuldet oder nicht – die Richtung auf der sozialen Karriereleiter verwechselt haben und sich prostituieren.

Auch wenn zwei Menschen einander anziehend finden und nur schweren Herzens voneinander lassen können, hat das rein gar nichts mit der Leibesfülle und der aus der Masse resultierenden Gravitationskraft zu tun – und wer sprichwörtlich seinen Hintern nicht hochbekommt und vielleicht sogar mit dem Sofa eine Symbiose eingegangen scheint, der oder die sollte sich nicht zur Entschuldigung auf die Gravitation berufen

Andererseits sind Ebbe und Flut in den Meeren tatsächlich Gravitationsfolgen der Mondanziehungskraft, während man für die sprichwörtliche "Ebbe im Portemonnaie" nun wiederum die Physik wirklich nicht verantwortlich machen kann – vorbeugen kann man allerdings mit einer MINT-Ausbildung.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Sollermann / Heiner Sollermann, Pixabay License
  • Erstellt am 11.03.2022 - 14:08Uhr | Zuletzt geändert am 30.06.2022 - 16:17Uhr
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