Oberbürgermeister Ahrens will Zivilgesellschaft stärken

Bautzen / Budyšin, 3. November 2016. Eskaliert war die Situation am Abend des 1. November, die Presse, so auch DER TAGESSPIEGEL, berichtete ausführlich. Gestern hat sich der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens zu den neuerlichen Vorfällen geäußert.
Abbildung: Das andere Bautzen, das ist die schöne alte Stadt mit ihren Türmen, Kirchen und historischen Befestigungsanlagen.

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Ahrens: Unterstützung durch die schweigende Mehrheit nötig

Oberbürgermeister Ahrens verurteilte die erneuten Vorfälle in der Nacht zum Mittwoch, er sieht darin eine weitere Gewalteskalation. Auch wenn es nach den aktuellen Erkenntnissen von Polizei und Augenzeugen keine "Hetzjagd" gegeben habe (das würden einige Medienberichte suggerieren): Die gewalttätigen Auseinandersetzungen seien nicht hinnehmbar.

"Dass Menschenverachtung und Gewaltbereitschaft einzelner Gruppen seit längerem ein Problem in unserer Stadt darstellen, ist bekannt. Der Einsatz von Schreckschusswaffen stellt jedoch eine neue Dimension dar. Hier müssen wir hart und entschlossen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegenhalten", betonte Ahrens. Dabei müsse auch die Polizei mit starker Präsenz und erhöhtem Verfolgungsdruck an den Problemen dranbleiben.

Die aktuellen Vorfälle zeigten, dass die Stadt nach den Ereignissen im September noch nicht zur Ruhe gekommen sei. Ahrens: "Die bestehenden Probleme sind nicht über Nacht lösbar und werden uns sicher noch eine ganze Zeit begleiten." Einen Zusammenhang zwischen den erneuten Auseinandersetzungen und seinem Gespräch mit Vertretern rechter Gruppen in der Vorwoche bestehe indes nicht: "Meine grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen mit allen Gruppen in Bautzen ist definitiv nicht Auslöser für diese Ereignisse."

Oberbürgermeister Ahrens zeigte sich weiterhin überzeugt, dass die übergroße Mehrheit der Bautzenerinnen und Bautzener diese Form der Auseinandersetzung ablehnt: "Dies muss jedoch auch deutlich und deutlicher als in der Vergangenheit artikuliert werden. Jene, die sich bereits seit langem und sehr engagiert für ein demokratisches und menschenfreundliches Bautzen einsetzen und das Rückgrat der Bautzener Zivilgesellschaft bilden, benötigen die Unterstützung der schweigenden Mehrheit dringend."

Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits am Dienstagabend unternommen. Auf Einladung von Oberbürgermeister Ahrens trafen sich in Bautzen Vertreter der Stadt, des Willkommen in Bautzen e.V., der Sozialarbeit, Privatpersonen und Jugendliche, um über neue Ansätze zur Stärkung der Zivilgesellschaft in Bautzen zu beraten.

Lob gab es von Oberbürgermeister Ahrens diesem Zusammenhang für zwei Mädchen, die sich bei den jüngsten Vorfällen zwischen Angreifer und Geflüchtete gestellt hatten: "Sie haben damit gezeigt, wie Zivilcourage aussehen kann." Er werde die beiden Bautzenerinnen zeitnah ins Rathaus einladen, um ihnen persönlich zu danken.


Kommentar:

Dass Bautzen die Kulisse für die Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern, Demo-Touristen und Ausländern stellt, ist wohl eher der Lage und Überschaubarkeit der Stadt geschuldet als einer hier besonders hohen Fremdenfeindlichkeit – allerdings trifft man in Ostsachsen insgesamt vielleicht häufiger als anderswo Menschen mit schlichten Weltsichten – Leute, denen "Fremde" Unbehagen bereiten, zumal, wenn die Fremden sich tatsächlich nicht so verhalten, als hätten sie je einen deutschen Kindergarten besucht.

Als wir über das Gespräch von Oberbürgermeister Ahrens mit Vertretern der rechten Szene in Bautzen berichtet hatten, brach auf Twitter ein kleiner Shitstorm los: Leute, die sich vor allem über "Anti" definieren, unterstellten Naivität bis hin zu "Mit Nazis spricht man nicht!" – ja, aber was sonst?

"Reden ist besser als Brüllen ist besser als Gewalt", so hatten wir uns in den sozialen Medien positioniert. Offenbar kommt das bei den linken wie rechten Mitläufern nicht an. Die sind auf Krawall gebürstet und fühlen sich dabei als die Guten, wobei mancher auch böse sein als gut empfindet.

Es ist bezeichnend, dass viele Menschern sich aus der gesellschaftlichen Diskussion über die Flüchtlinge verabschiedet haben oder sich nur noch "hinter vorgehaltener Hand" äußern. Das liegt wohl daran, dass man sofort einem der Lager links, rechts, naiv, fremdenfeindlich, Gutmensch etc. pp. zugeordnet wird. Wer will sich das schon antun. Wenn aber die Mitte unserer Gesellschaft weiter schweigt, werten das die Krakeeler aller Coleur als Zustimmung – und die Gesellschaft gibt damit die humanistischen Grundwerte preis.

Der Bautzener Ansatz, die Zivilgesellschaft zu stärken, muss durch eine lösungsorientierte gesellschaftliche Diskussion begleitet werden, an der teilzunehmen jeder aufgerufen ist. Dazu sollten auch die Rechten in Bautzen beim Wort genommen werden, hatten sie doch selber im Gespräch deutlich gemacht, dass man mit Gewalt keine Lösungen erreichen kann. Wie wäre es also, wenn sie selbst öffentlich gegen Gewalt aufrufen würden?

Ob das jetzt naiv ist, fragt sich

Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier
  • Erstellt am 03.11.2016 - 07:45Uhr | Zuletzt geändert am 03.11.2016 - 09:26Uhr
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